Mister
Selbstdisziplin
Tomasz Kumaszynski
erarbeitet sich seine Erfolge hart / Eine kleine Reise durch sein
facettenreiches Leben
VON WERNER MAASS
Wer hat selbst nicht schon mehrere Sportarten
ausprobiert? Mehr oder weniger kurz reingeschnuppert, dann musste etwas Neues
her? So ähnlich erging es auch Tomasz Kumaszynski.
Die Lust auf etwas Neues – das ist aber auch schon das einzige, was an der Vita
des Ritterhuders noch relativ normal ist. Kumaszynski hat eine Lebensgeschichte zu erzählen, wie sie
im Landkreis Osterholz einzigartig sein dürfte.
Sein Landkreisrekord im 100-Meter-Sprint von 10,6
Sekunden steht noch immer. Kumaszynski war Trainer in
der 1. Basketball-Bundesliga, Spieler in der 1. Footballliga. Der gebürtige
Pole fuhr Seekajak, und war Free Climber.
Doch er hat auch von schlimmen Erfahrung zu berichten. Wie von einem
unfreiwilligen Dopingerlebnis zum Beispiel, das ihn fast in den Wahnsinn
getrieben hätte. Mittlerweile ist Tomasz Kumaszynski
53 Jahre alt. Höchste Zeit also, mit ihm gemeinsam eine Reise durch ein sehr
bewegtes Leben zu starten.
Der Kränkliche
Kumaszynski lebte mit seinen Eltern und drei
Brüdern in Breslau in Polen. „Wir waren eine Arbeiterfamilie, da blieb für uns
Kinder nicht viel Zeit übrig.“ Im Alter von zehn Jahren kommt die Familie nach
Deutschland und findet in Grohn ihr erstes Zuhause. Nur vier Jahre später
verstirbt die Mutter an Krebs. Der Vater schuftet, die Kinder werden auf sich
allein gestellt. Da bleibt so einiges auf der Strecke. „Ich habe im Alter von
14 Jahren zum ersten Mal Zahnhygiene gemacht“, sagt er. Früher in Polen sei
alles anders organisiert gewesen. Jede Schule hat ihren eigenen Zahnarzt. Und
da die Eltern das Thema Zahnhygiene gar nicht forcierten, wurde dem Zähneputzen
mangels Kenntnis keine Bedeutung beigemessen.
Eine Kariere im Sport zeichnet sich überhaupt nicht
ab. „Ich war ein kränkliches Kind“, sagt Kumaszynski,
bei dem eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert wird. Bis zu seinem Einstieg
in den Sport führt er ein Mauerblümchendasein. Doch das solle sich ändern.
Der Fußballer und Handballer
Der Einstieg in den Sport fällt noch verhalten aus. Kumaszynski geht irgendwann einmal im Alter von 14 Jahren
zum Fußball beim SV Grohn. Er wechselt zur SG Aumund-Vegesack,
wo er mit Erfolg das Tor hütet. Doch schon bald stellt sich heraus, dass der
Fußball nicht seine Erfüllung wird. Mit dem Umzug der Familie nach Ritterhude
landet er bei den Handballern der TuSG Ritterhude. Er
wird bereits früh in der Herrenmannschaft eingesetzt, vor allem aufgrund seiner
Schnelligkeit. Bei seiner nächsten Station nimmt die sportliche Karriere
mächtig Tempo auf.
Der Leichtathlet
Kumaszynski wechselt zum Gymnasium in der Loger Straße in Osterholz-Scharmbeck. Dort bekommt er
zunächst Kontakt zu den Basketballern, zu den Osterholzer Basketball-Legenden
Markus Bahr und Jens Hasloop, zu Thomas Mauritz und
Roger Jastrow mit ihrem Mentor Wolfgang Scheithauer.
Doch dazu später mehr.
Kumaszynski gerät unter die Fittiche des
Lehrers Gerd Schmidt, der später Schulleiter des Gymnasiums wird. Schmidt fällt
die ungewöhnliche Schnellkraft des Polen auf. Schmidt verordnet dem Schüler den
Kniehebelauf, auch Skipping genannt. Mit der Folge,
dass die Bestzeit über 100 Meter sich sprungartig von 13,0 auf 11,6 Sekunden
verbessert. 11,6 Sekunden für einen 17-Jährigen, und das praktisch ohne
Sprinttraining – das ist ein erstes Pfund.
Kumaszynski beginnt dennoch erst im Alter von
19 Jahren beim VSK Osterholz-Scharmbeck mit der Leichtathletik. Und er geht
sofort ab wie eine Rakete. Am 25. Juli 1986 läuft er in Oldenburg handgestoppte
10,6 Sekunden über die 100 Meter – Kreisrekord. Kumaszynski
steht dicht vor dem großen Durchbruch in die deutsche Spitze der
100-Meter-Sprinter. Doch er plagt sich immer wieder mit einer Leistenverletzung
herum.
Der unfreiwillige Doper
Irgendwann spricht er mit einem guten Freund und
Studienkollegen. Unter anderem über seine Leistenverletzung. Der bietet ihm
eine Pille an und verspricht eine schnellere Wiedergenesung. Die Folgen sind
verheerend, wie er eindrucksvoll schildert: „Ich bin wie ein Tier die ganze
Nacht durch die Wohnung gelaufen. Und ich war aggressiv“, erkennt sich Kumaszynski selbst nicht wieder. „Ich habe ein Glas in der
Hand zerdrückt. Erst als ich das Blut fließen sah, konnte ich wieder einen
klaren Gedanken fassen.“ Und Kumaszynski ist
heilfroh, dass ihm seine damalige Partnerin in der Nacht zur Seite steht.
Erst im späteren Gespräch mit dem ehemaligen Radprofi,
einem mehrfachen Deutschen Meister im Bergfahren, kommt Licht ins Dunkel. Das
anabole Steroid von hoher Konzentration hat in den Eiweißstoffwechsel
eingegriffen und damit hormonell die Tätigkeit des Gehirns beeinflusst. Eine
solche Reaktion sei auch bei anderen Dopern
festgestellt worden, sagt Kumaszynski.
Es bleibt bei der einen Pille. „Ich wusste nicht, was
ich damals genommen hatte. Und der Radfahrer hat sich dann bei mir
entschuldigt“, sagt Kumaszynski. Die
Leichtathletik-Karriere neigt sich schon bald dem Ende zu. Die
Verletzungsprobleme stellen sich nicht ein. Und Kumaszynski
ist durch das unfreiwillige Erlebnis ein gebranntes Kind. „Ich war anders
erzogen worden. Unter anderem durch Gerd Schmidt. Doping kam für mich nicht in
Frage.“
Mittlerweile hat der Kumaszynski
seine Sprintschuhe aber wieder ausgepackt. Bei den Kreismeisterschaften 2015
kommt er in 12,41 Sekunden auf Rang drei ins Ziel. Als 53-Jähriger in einem
Feld voller Jungspunde. Mittlerweile trainiert er so systematisch wie noch nie.
Täglich eine Stunde lang. Und es macht richtig Spaß.
Der Basketballer
Kumaszynski ist nicht nur auf der
Kunststoffbahn eine Rakete, auch auf dem Basketballfeld ist er kaum
einzufangen. Er weiß nur zu genau, seine Athletik einzusetzen. Und er ist im
Kopf stabil, das beschert ihm als aktiver Basketballer eine beachtliche
Karriere. Mit Spielen in der dritten Liga. Und dem Deutschen Meistertitel der
Senioren. Knallharte und unerbittliche Verteidigung und ein unglaubliches Tempo
bei den Schnellangriffen sind seine Markenzeichen.
Los geht es am Gymnasium in Osterholz-Scharmbeck. Erst
im Alter von 17 Jahren – eigentlich zu spät für eine große Karriere als
Basketballer. Unter der Regie des Sportlehrers Wolfgang Scheithauer. Kumaszynski spielt in Vegesack und später in Ritterhude.
Schon bald konzentrierte er sich aber auf den Job des Trainers. Und startete
auch hier voll durch.
Der Trainer
Kumaszynski findet schnell Gefallen am
Coaching, an der Arbeit mit jungen Talenten. In Vegesack und beim VSK, später
mit der Bremer Landesauswahl.
Es folgen die Trainerlizenzen D, C und B sowie
schließlich der A-Schein, die höchste Lizenz. Er zieht schon bald raus in die
große weite Welt des Basketballs. Kumaszynski
arbeitet als Assistenz-Trainer beim Erstligisten SG Braunschweig. Es folgen
viele verschiedene Stationen, von Nachwuchs-Basketball-Bundesliga bei den
Central Hoops in Berlin bis zur Damen-Zweitliga-Mannschaft der
Artland Dragons – die ganze Palette des
Leistungs-Basketballs.
Der Footballer
Mittendrin in seiner Zeit als Basketballtrainer merkt Kumaszynski, dass er eine besondere Affinität zu den amerikanischen
Sportarten hat. Also steigt er einfach mal eben bei den Footballern ein. Er
startet seine Football-Karriere im Alter von 36 Jahren beim Zweitligisten
Darmstadt Diamonds. Es folgen vier Spiele für die Bad Homburger Falken, ehe der
Verein pleite geht und aus
der ersten Liga abgemeldet wird. Dritte Station als Free Safety
ist der Drittligist Neu Isenburg Jets. Warum er beim
Football gelandet war, das weiß er bis heute selbst nicht so genau. „Keine
Ahnung. Vielleicht durch meinen Bruder Elvis“, sagt er. Jener Elvis alias
Andreas Kumasynski war ebenfalls als Footballer aktiv
und betreibt noch heute die Vereinsgaststätte der TuSG
Ritterhude. Zu den Ritterhude Badgers gibt es
übrigens nur einen losen Kontakt. Ein Einstieg mit 53 Jahren – dieses Thema stellt
sich nicht.
Der Seekajak-Fahrer
„Ich hatte immer ein Problem, wenn ich nur ein Rädchen
in einem Getriebe war“, sagt Kumaszynski. Also sucht
er sich eine weitere Herausforderung. Nur einfach Kajak fahren kommt nicht in
Frage. Es musst Seekajak sein. Rein in die Brandung,
der Nervenkitzel, der Kampf mit den Naturgewalten. Und mit dem eigenen Körper.
Also paddelt er raus auf See, rüber nach Langeoog, Baltrum
und Norderney. Allerdings nie allein. Und das ist auch gut so. Denn das eine
Mal gerät er in schwere Turbulenzen. Ein Mitfahrer fährt im ins Heck seines
Bootes. Seine drei Kollegen und er selbst haben Probleme, das Boot notdürftig
mit einem aufgeblasenen Seesack zu stabilisieren. Die Rückfahrt ist
grenzwertig. Das Boot kippt mehrfach, nur mit letzter Kraft kann er sich mit
der Eskimorolle aus dem zwölf Grad kalten Wasser wieder aufrichten. „Diese
Kälte. Und die Erschöpfung. Als wir am Strand waren, habe ich einfach nur
geheult“, sagt Kumaszynski. Ein weiteres Thema hat
sich für ihn damit erle digt:
„Das war genug. Danach brauchte ich kein Survival-Camp
mehr besuchen.“
Der Free Climber
Als die Geschichte des Thomas Kumaszynski
erzählt zu sein schien, da rückt er auf Nachfrage noch mit einer weiteren
Episode heraus. Kumaszynski ist gerade als Trainer in
Aschersleben angestellt. Als Basketball-Trainer. Der Verein verfügt über eine
Kletterwand. 20 Kletterer sind aktiv, da muss sich der Gefahrensucher selbst
noch einmal probieren. Und es macht Spaß. So viel Spaß, dass er
Abteilungsleiter wird. Die Abteilung boomt, die Zahl der Kletterer steigt auf
80 an. Doch irgendwann ist das Kapitel Aschersleben zugeschlagen. Im Basketball
und im Free Climbing. Im Kopf hängen bleibt aber die Erkenntnis: „Ich habe
gemerkt, dass man gar nicht weiß, was sein eigener Körper so alles kann.“
Der Geschäftsmann
Eines ist auf der Strecke geblieben: Tomasz Kumaszynski hat keine Berufsausbildung absolviert. „Ich
hatte damals 211 Bewerbungen geschrieben und bin nicht ein einziges Mal zu
einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden“, sagt er und ergänzt: „Die
meisten Bewerbungen dürften schon bei einem Blick auf meinen Namen in der
Mülltonne gelandet sein.“ Vielleicht ist es eine Fügung, der Job im
Kaufmännischen hätte kaum zu diesem multitalentierten Hochleistungssportler
gepasst. Dennoch hat Kumaszynski lange Zeit als
Geschäftsführer der Hoop Camps gearbeitet, einer
bundesweit agierenden Organisation zur Durchführung von Basketball-Camps.
Ohne Berufsausbildung – das will der Ritterhuder übrigens nicht so stehen lassen. Kumaszynski absolviert seit drei Jahren ein Fernstudium im
Fach Gesundheit und Sozialmanagement. In genau diesem Bereich arbeitet er
derzeit, als Leiter einer Hauskrankenpflege in Oslebshausen. Mal sehen, welches
Projekt er als nächstes in Angriff nimmt. Er ist erst 53 Jahre, hat noch immer
Ideen – da geht noch was...