Internationaler Pressespiegel

KULTUR

Die Frau mit dem Ticket-Tick

10.01.2017

Nina Boesch ist eine Bremerin in New York

Die Frau mit dem Ticket-Tick

Lisa-Maria Röhling 10.01.2017

Nina Boesch lebt und arbeitet in New York. Die 38-jährige gebürtige Bremerin macht aus benutzen Metro-Tickets witzige Collagen, die zum ersten Mal im Frühjahr in Bremen zusehen

So entstehen die Collagen von Nina Boesch. (Laurentiu Garofeanu/Barcroft USA)

Wer erkennt es nicht, das Stadtbild aus engen Straßenzügen, Hochhäusern und beleuchteten Fenstern? Typisch New York eben. Die Bremerin Nina Boesch hat aus ihren Eindrücken der Millionenstadt an der amerikanischen Ostküste ganz besondere Kunstwerke gemacht. Denn sie arbeitet mit einem ungewöhnlichen Material: Ihre Bilder sind Collagen aus gebrauchten Metrotickets. Im Dezember wurden ihre Werke im Deutschen Konsulat in New York ausgestellt. Ab April 2017 sind sie zum ersten Mal in ihrer Heimatstadt Bremen zu sehen.

Die sogenannten Metrokarten sind gelb-schwarze Plastikkarten, mit denen Reisende durch die Absperrungen zu den Zügen gelangen. Ist das Guthaben darauf aufgebraucht, sind die Karten wertlos. Deswegen werfen die meisten New Yorker die Karten nach der Fahrt einfach weg oder lassen sie auf dem Bahnsteig fallen. „Die lagen dort überall rum“, sagt Nina Boesch über ihr Arbeitsmaterial. Sie kam 2001 das erste Mal für ein Praktikum bei einer Webdesign-Firma nach New York. Sie lebte ein Jahr lang in einer Gastfamilie in Morristown, New Jersey, und musste täglich in die New Yorker Innenstadt pendeln. Eineinhalb Stunden brauchte Boesch zu ihrem Arbeitsplatz in Soho. Unterwegs sah sie überall die Tickets auf dem Boden liegen – und begann irgendwann, sie zu sammeln. Sie passierte täglich die bekannte Penn Station im Herzen New Yorks und nahm jedes Mal ein Dutzend Metrotickets mit. Schließlich hatte sie so viele Tickets gesammelt, dass sie ihre erste Collage herstellte und sie ihren Gasteltern schenkte. Darauf war eine Landkarte der USA zu sehen. Ihr Gastvater war begeistert: „Davon solltest Du mehr machen“, habe er zu ihr gesagt. Also machte Boesch weiter. Für ihre zweite und dritte Collage ging sie gezielt in unterschiedliche Stationen und begann, dort regelrecht aufzuräumen. Allerdings sei das den übrigen Reisenden kaum aufgefallen. „In New York gibt es so viele verrückte Leute“, sagt Boesch.

Unbekannte schicken Karten

Jetzt, sechzehn Jahre später, ist Nina Boesch 38 Jahre alt und hat knapp 50 000 Metrokarten in ihrer Wohnung in New York gelagert. Irgendwann hätten auch Freunde und Kollegen damit begonnen, ihr die benutzten Tickets zu überlassen. Über die Jahre hat Boesch zahlreiche Collagen gestaltet, darunter auch Porträts von Berühmtheiten oder Filmfiguren. Es folgten erste Ausstellungen und Auftragsarbeiten. Und je bekannter sie wurde, desto mehr Tickets kamen bei ihr an: Selbst Unbekannte schickten ihr nun Tickets für ihre Collagen. Wenn die Menschen ihre Arbeit so tatkräftig unterstützten, sagt Boesch, sei es das größte Lob für sie.

Nina Boesch hatte nicht von Anfang an geplant, dass sie irgendwann in New York bleiben würde. Nach ihrem Auslandsjahr sei sie allerdings schon mit dem Gefühl in ihre Heimat Bremen zurückgekehrt, „dass es das noch nicht gewesen ist“, sagt sie. In Bremen studierte sie zunächst digitale Medien an der Hochschule für Künste (HfK). Nach einem Jahr beschloss sie, das Studium abzubrechen und erneut in die USA zu gehen. Dort begann sie ein Studium an der Designschule in Rhode Island und ging anschließend nach New York, wo sie bis heute lebt. Hauptberuflich ist sie Designerin und arbeitet viel mit digitalen Medien und für Museen. Ihr Leben als Künstlerin führt sie fast nebenher. „Die Abende sind an die Kunst verplant“, sagt sie und lacht.

Zufallsmotive

„Eigentlich ist es wie Malen nach Zahlen“, sagt Boesch über ihre Arbeit. Sie zeichnet die Motive zunächst vor, überträgt die Skizze dann auf eine Leinwand und füllt die Felder mit den Metrokarten. Die schneidet sie vorher zu unterschiedlich großen Stücken. „Ich verbringe ganze Abende damit, die Metrokarten klein zu schneiden und dann in unterschiedliche Eimer zu füllen.“ Ihre Motive findet sie meist zufällig. In New York sei es aber nicht schwierig, Inspiration für ein neues Bild zu finden. Sie macht dann gerne ein Foto oder eine kurze Zeichnung in dem Notizbuch, das sie immer dabei hat.

Dass sie eines Tages tatsächlich mit ihren Kunstwerken Geld verdienen würde, hätte die Bremerin Nina Boesch niemals für möglich gehalten. Am Anfang habe sie es einfach für ein schönes Hobby gehalten. „Ich recycle Müll“, sagt sie und lacht. Ihren Erfolg habe sie simpler Mundpropaganda und Empfehlungen durch Bekannte zu verdanken. So sei ihre erste Vernissage zustande gekommen. „Ich hab einfach nur Glück gehabt“, sagt sie. Aber es fühle sich großartig an, sich einen Namen in New York zu machen. Denn natürlich sei es sehr hart, sich in der dortigen Kunstszene einen Namen zu machen. Vor allem, wenn man in einem der großen Museen ausstellen wolle. Doch auch davor schreckt Boesch nicht zurück. „Das wäre vielleicht das nächste Ziel“, sagt sie.

Im Moment plant Boesch, in New York zu bleiben. Hier sei ihr Lebensmittelpunkt. Allerdings wird es in 2017 mindestens einen Besuch in ihrer Heimatstadt geben: Im Frühjahr werden Boeschs Werke im Künstlerhaus Art 15 im Schnoor zu sehen sein. „Ich freue mich schon riesig darauf“, sagt sie euphorisch. Zahlreiche ihrer Freundinnen und Freunde in Bremen kennen ihre Kunst nur von Fotoaufnahmen und haben sie noch nie direkt vor Augen gehabt. Sie sei vor allem gespannt, ob etwas so Spezifisches wie Collagen aus den New Yorker Metrotickets überhaupt bei den Bremern ankomme.

Ob es dann vielleicht auch mal eine Collage von ihr gibt, die aus benutzten BSAG-Tickets zusammengesetzt ist? „Die jetzigen sind visuell nicht so interessant“, sagt ­Boesch und fügt gleich hinzu: „Aber in den 80er-Jahren gab es mal welche, die waren auch etwas stabiler. Die habe ich damals auch gesammelt. Mit denen könnte man arbeiten.“

 Quelle: Weser-Kurier